Outdoorjacken, die über Stunden im strömenden Regen trocken halten – solche Produkte verdankten wir lange Zeit vor allem den Fluorkohlenwasserstoffen. Jetzt sucht die Textilindustrie nach umweltverträglicheren Alternativen, die genauso leistungsstark sind. Keine leichte Aufgabe.
In puncto Wasserabweisung sind poly- und perfluorierte Kohlenwasserstoffe einfach spitze. Mehr noch: Sie zeigen sogar Öl, Blut und Schmutz die glatte Schulter. „Fluorkohlenwasserstoffe haben eine extrem niedrige Oberflächenenergie, sind daher von keiner Flüssigkeit benetzbar, weder von Wasser noch von Öl“, sagt Thomas Bechtold, Professor für angewandte Chemie und Textilchemie an der Universität Innsbruck. Diese Kombination von Eigenschaften macht die Substanzklasse einzigartig − kein Wunder, dass die Textilbranche sie so gerne verwendet.
Inzwischen ist allerdings klar geworden, dass per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (per- and polyfluoroalkyl substances, PFAS) mit Bedacht einzusetzen sind. Denn die Substanzen und ihre Abbauprodukte reichern sich in der Nahrungskette an oder verteilen sich mit dem Wasserkreislauf in der gesamten Umwelt. Einige bauen sich in der Natur niemals ab − Ewigkeitschemikalien eben. Manche PFAS sind in Europa bereits verboten, für andere sind Einschränkungen in der Diskussion. Die Textilindustrie muss sich umorientieren.
Fluor drinnen und draußen
Das vermutlich bekannteste fluorhaltige Produkt für Outdoorbekleidung ist die Gore-tex-Membran des Unternehmens W. L. Gore & Associates aus expandiertem Polytetrafluorethylen (ePTFE). Um dies herzustellen, wird PTFE langgezogen (gereckt). Dadurch entsteht ein mikroporöses Material aus Fibrillen, verbunden durch Knoten. Die PTFE-Polymere sind stark wasserabstoßend, zudem enthält das Material laut Gore 1,4 Milliarden Poren pro Quadratzentimeter. Diese sind jeweils 20.000 mal kleiner als ein Wassertropfen, aber 700 mal größer als ein Schweißpartikel. Das macht das Produkt wasserdicht und gleichzeitig atmungsaktiv.
Fluorhaltige Verbindungen schützen zudem die Außenseite von Funktionskleidung. Durable-Water-Repellency (DWR-)Imprägnierungen verhindern, dass sich der Oberstoff mit Wasser vollsaugt. Wenn Wassertropfen auf einer Jacke abperlen, beruht dies auf einer DWR-Behandlung.
„Es handelt sich dabei um nasschemische Verfahren, in denen Substanzen in Textilien hineingepresst und unter Hitze fixiert und getrocknet werden, sodass sie die textilen Fasern möglichst gut umhüllen“, erklärt Dirk Hegemann, Gruppenleiter Plasma & Coating an der Empa im schweizerischen St. Gallen. Das funktioniere extrem gut mit perfluorierten Chemikalien mit C8-Einheiten, also mit acht CF2- bzw. CF3-Einheiten. Um die Fluorkohlenwasserstoffe fest an die Textilien zu binden, tragen die Verbindungen reaktive funktionelle Gruppen, etwa Carbonsäure- oder Alkoholgruppen.
Zum Einsatz kamen lange Zeit vor allem Fluortelomeralkohole, das sind per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, die durch Telomerisation entstehen: Mehrere Moleküle Tetrafluorethylen reagieren mit Pentafluorethyliodid über Zwischenstufen zu unverzweigten Perfluoralkylmonomeren. Die perfluorierten Verbindungen werden beispielsweise über Urethan- oder Acrylankergruppen und kovalent gebundene Sauerstoffatome auf der Textiloberfläche chemisch gebunden, unter Zuhilfenahme von Isocyanaten als Vernetzer. Die vielen nach oben gerichteten C-F-Ketten bilden eine Art Molekülwald, deren Baumkronen weit über die Textiloberfläche reichen und eine abstoßende Schicht bilden.
Kurz liegt im Trend
Langkettige PFAS mit acht oder mehr Kohlenstoffatomen bergen besonders hohes Umweltgefährdungspotenzial, da sie persistent und toxisch sind und sich in biologischen Materialien anreichern. Bekannteste Vertreter dieser Stoffgruppe sind das Perfluoroktansulfonat (PFOS) und die Perfluoroktansäure (PFOA), die in der EU bereits verboten bzw. stark eingeschränkt verwendbar sind. Für DWR-Imprägnierungen verwendete Fluortelomeralkohole können sich in der Umwelt in Perfluorcarbonsäuren wie PFOA umwandeln. PFOA diente zudem lange Zeit als Polymerisationshilfe beim Vernetzen von TFE-Monomeren zu PTFE.
„Wenn man alles korrekt machen würde, hätte man die Fluorkohlenwasserstoffchemie im Griff, aber Textilien werden vor allem in Asien beschichtet“, sagt Dirk Hegemann. „Da wir in Europa darüber keine Kontrolle haben und nicht wissen, unter welchen Umweltstandards man dort arbeitet, ist das Thema Fluorkohlenwasserstoffe nur über Regulierungen, Verbote und Beschränkungen in den Griff zu bekommen.“ Aus Bekleidung können PFAS-Verbindungen zudem durch Abrieb und beim Waschen frei werden und so in die Umwelt gelangen. UV-Strahlung, Feuchtigkeit und Wärme bewirken, dass sich die DWR-Polymere zersetzen; es können Perfluoralkylsäuren sowie Fluorotelomeralkohole und andere flüchtige PFAS-Verbindungen entstehen.
Wenn sich auf Fluor nicht verzichten lässt
Dirk Hegemann von der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) sieht einen kompletten Verzicht auf Fluorkohlenwasserstoffe bei Textilien derzeit kritisch: Bei vielen Anwendungen sei das bisher schlichtweg nicht möglich − etwa, weil man eine Schmutz- und Ölabweisung dringend benötigt, bei Schutzausrüstungen beispielsweise. „In dem Fall sind Plasmabeschichtungen eine umweltverträglichere Alternative im Vergleich zur Nasschemie“, sagt er. Als Ausgangsgase ließen sich dafür reine Fluorkohlenwasserstoffe oder sogar Fluorkohlenstoffe einsetzen; reaktive sauerstoffhaltige Gruppen wie bei den Fluortelomeralkoholen braucht es nicht. Die Methode sei sehr materialsparend: „Nasschemisch bringt man typischerweise eine ein Mikrometer dicke Beschichtung auf. Im Plasma reichen unter 100 Nanometer.“ Die Unternehmen Europlasma in Belgien und P2i in Großbritannien beschichten Textilien bereits mit Fluorkohlenwasserstoffen im Plasma. Spezialisiert haben sie sich auf Nischenprodukte, die auch teurer sein dürfen, etwa Textilien für den medizinischen Gebrauch oder auch Sportschuhe.
Seitdem langkettige perfluorierte Verbindungen (≥ C8) nicht mehr erlaubt sind, nutzt die Textilindustrie vermehrt kurzkettige Substanzen mit C4- oder C6-Gerüst, etwa die Perfluorhexansäure (PFHxA) oder die Perfluorbutansulfonsäure (PFBS). Diese Verbindungen gelten als weniger toxisch und persistent, sind bisher allerdings auch weniger untersucht. Deutschland hat bereits einen Vorschlag zur Beschränkung der Herstellung und Verwendung von (PFHxA) bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht.
Fluorfrei innen
Inzwischen bieten die meisten Hersteller von Outdoorbekleidung PFAS-freie Alternativen an, darunter wasserdichte Membranen aus Polyurethan (zum Beispiel Texapore von Jack Wolfskin), aus Polyester oder aus Block-Copolymeren aus Polyether und Polyester (zum Beispiel Sympatex).
Auch die Gore-Tex-Marke brachte im Herbst 2022 erstmals eine fluorfreie Membran aus expandiertem Polyethen (ePE) auf den Markt. Das Material habe eine ähnliche Struktur wie ePTFE aus Knoten und Fibrillen mit Poren, erklärt Erik Schrei, Produktdirektor bei Gores Textilwarensparte. „Wir nutzen zur Herstellung einige der gleichen Prozesse wie bei ePTFE, konnten also auf unserer jahrzehntelangen Erfahrung mit ePTFE aufbauen.“
Gore wolle seinen Kunden mit dem neuen Material eine Option mit geringerem CO2-Fußabdruck bieten, sagt Schrei. Die Goretex-Membran aus ePTFE bleibt weiter erhältlich, allerdings plant das Unternehmen, die ePE-Produktion hochzuskalieren und die Mehrheit seiner Verbrauchertextilprodukte ab der Herbst-/Winter-Saison 2025 komplett auf die neue Membran umzustellen. ePTFE wird weiterhin für anspruchsvollere Anwendungen benutzt. Dazu zählen zum Beispiel persönliche Schutzausrüstungen und Berufsbekleidungen für Feuerwehrleute, Polizei, Militär und in der Medizin.
Ganz einstellen will Gore die Produktion der ePTFE-Gore-Tex-Membran nicht, denn dazu gebe es keine Veranlassung. „ePTFE ist nicht wie andere PFAS“, sagt Erik Schrei. „Es zersetzt sich nicht, bioakkumuliert nicht.“ Das Umweltbundesamt (UBA) sieht das etwas anders: Auch Fluorpolymere inklusive PTFE betrachte man als problematisch für die Umwelt, erklärt das UBA auf Nachfrage. Denn es sei ungeklärt, ob und wie viel des Polymers selbst, der fluorierten Hilfsstoffe aus der Herstellung oder der Abbauprodukte bei der Entsorgung, etwa aus unvollständiger Verbrennung, in die Umwelt gelangen.
Fluorfrei außen
Auch bei DWR-Imprägnierungen hat sich in den letzten Jahren viel getan. PFAS-freie Alternativen basieren zum Beispiel auf Paraffin, Wachsen, Polyurethanen, anderen Kohlenwasserstoffen oder Silikonen. Paraffine und Wachse wie beim ursprünglichen Ölzeug der Seefahrer, sind jedoch wenig beständig: Sie lösen sich beim Waschen oder mit der Zeit durch Licht- und Wärmeeinwirkung ab. Eine Anbindung der Paraffinkette über Zirkoniumionen erhöht die Waschechtheit; dabei entstehen stabile Chelatkomplexe mit den Sauerstoffatomen auf der Textiloberfläche.
Auch Gore imprägniert seine Laminate für Outdoorprodukte seit vier Jahren fluorfrei, mit selbstentwickelten Produkten auf Kohlenwasserstoffbasis. Die Wasserabweisung sei hervorragend, aber „wir sagen unseren Kunden offen, dass ohne fluorierte DWR die ölabweisende Wirkung verlorengeht“, sagt Erik Schrei. „Das ist die Realität der fluorfreien Chemie und eine Herausforderung für die gesamte Branche. Wissenschaftler/innen bei Gore und vielen anderen Unternehmen arbeiteten daran, dieses Problem zu lösen.
Textilien lassen sich auch mit Silikonen wasserdicht machen. Die Substanzen basieren auf Polydimethylsiloxanen [-Si(CH3)2O-]. Diese Siloxane sind unter Reach registriert; einige zyklische Siloxane hat die Echa (Europäische Chemikalienagentur) als persistent, bioakkumulierend und/oder toxisch eingestuft. Aber: „Silikon ist nicht gleich Silikon, wir haben hier einen riesigen Baukasten zur Verfügung“, sagt Tung Pham, Leiter des Forschungsinstituts für Textilchemie und Textilphysik an der Universität Innsbruck. „Wenn man die Silikone gründlich auswählt und sauber vernetzt, ist diese Verbindungsklasse aus toxikologischer Sicht eine gute Alternative und nach heutigem Kenntnisstand sehr sicher.“ Sein Forschungsinstitut arbeitet an einer Methode, die Silikone als hauchdünne Filme auf Textilien aufdruckt.
Plasma statt Nasschemie
Dirk Hegemann von der Empa setzt auf Beschichtungsverfahren mit Plasmatechnik, wie sie bereits in der Mikroelektronik und beim Beschichten von Werkzeugen im Einsatz ist. Dabei wird die Textiloberfläche zunächst im Plasma aktiviert, fährt auf der Rolle-zu-Rolle-Anlage weiter und wird dann im nächsten Schritt im Plasma aus der Gasphase heraus beschichtet. Einsetzen lassen sich beispielsweise Siloxane oder Kohlenwasserstoffe. „Man erzeugt in situ Anbindungsstellen auf dem Stoff und reaktive Gruppen in den Verbindungen, mit denen beschichtet wird“, erklärt Hegemann. „Beides reagiert dann miteinander. Dadurch haftet die DWR-Imprägnierung fest am Textil. 50 oder 100 Zyklen an Waschbeständigkeit lassen sich so erreichen.“
Aber bei aller Notwendigkeit, für Fluor einen Ersatz zu finden – die Textilindustrie arbeitet laut Hegemann gerne mit ihren konventionellen Verfahren. Investitionen in neue Techniken müssen gut begründet sein. „Wenn wir sagen: Wir haben ein neues Verfahren, das umweltverträglicher ist als die bestehenden, aber nicht kostengünstiger, dann wird man das nicht einführen können. So eine Argumentation kommt erst zum Tragen, wenn etwas verboten wird.“
Genau hinschauen
Fluorfrei heißt nicht automatisch umweltfreundlich. Im Jahr 2018 untersuchte das Zentrum für Umweltforschung und Nachhaltige Technologien an der Universität Bremen 15 fluorfreie DWR-Formulierungen plus Hilfskomponenten auf dem Markt und fand in vielen Proben krebserregende, giftige oder gesundheitsschädliche Verbindungen. Einige flüchtige organische Gefahrstoffe waren im Sicherheitsdatenblatt nicht ausgewiesen, die Deklaration der Hersteller war in einigen Fällen mangelhaft. „Ein risikoarmer Umgang mit den untersuchten DWR-Formulierungen bedarf einen hohen Standard in der Arbeitssicherheit, gut ausgerüstete Produktionsstätten, geschultes Personal und ein gutes Abfall- und Abwassermanagement“, heißt es im Abschlussbericht. „Sollten diese Voraussetzungen nicht gegeben sein, wie es vielen Produktionsstätten im asiatischen Raum nachgesagt wird, dann geht die Hydrophobierung von Textilien mit einem erheblichen Risiko für Mensch und Umwelt einher.“ Ein Bericht des dänischen Umweltministeriums zu PFAS-freien Imprägnierungsmittel in Textilien attestiert große Datenlücken in puncto Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Es seien kaum Informationen zu den Inhaltsstoffen verfügbar sowie zu enthaltenen Spuren von Ausgangsmaterial, Zwischen- und Abbauprodukten. Oft seien Betriebsgeheimnisse der Grund.
Angepasst statt Overkill
Bisher gibt es keine fluorfreie Alternative, die Fluorkohlenwasserstoffe mit all ihren Eigenschaften 1:1 ersetzen kann. Aber das ist auch nicht immer nötig. Forschende der Universität Leeds attestierten fluorfreien DWR-Imprägnierungen auf Kohlenstoffbasis ähnlich gute wasserabweisende Eigenschaften wie den fluorhaltigen. PFAS-Chemie für Outdoorbekleidung sei „over-engineering“. Thomas Bechtold stimmt dem zu: „Bei Autositzen ist eine Oleophobie sicher wichtig, aber ein Outdoorler schüttet sich normal nicht mit Ketchup und Joghurt voll. Der braucht lediglich den Wetterschutz.“
Die Textilindustrie stehe vor der Herausforderung, von extrem leistungsfähigen Produkten wieder auf solche mit lediglich ausreichender Wirkung zurückzuschwenken. „Marketingabteilungen haben viele Jahre lang über die Fluorkohlenwasserstoffe enorme Werte propagiert, die für Feuerwehreinsatzkräfte vielleicht nötig, aber für den Durchschnittswanderer völlig überzogen sind.“ Es geht jetzt darum zu beurteilen, was ein Kleidungsstück tatsächlich können muss und akzeptable Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Schließlich ist es ein Unterschied, ob man den Hund im Nieselregen ausführt, mit schwerem Rucksack aufs Matterhorn steigt oder Menschen aus einem brennenden Haus rettet. www.writingscience.de