Es liege nicht am Berufsbild, dass es keine auszubildenden Textilreiniger/innen gebe. „Wir haben ein strukturelles Problem, das wir lösen müssen“, sagt Ursula Dreyer. Seit 2014 macht sie sich für die Interessen ihrer Schüler/innen an der Anna-Siemsen-Schule in Hannover stark. Nun bangt sie um die Existenz des Berufsganges „Textilreiniger/in“, der ihr sehr am Herzen liegt.
Für Ursula Dreyer zählt jede Schülerin und jeder Schüler. Abgesehen davon, dass jede ausgebildete Textilreinigerin und jeder qualifizierte Textilreiniger Imageträger für ihren Berufsstand seien. Derzeit sorgt sie sich auch um eine Schülerin in der zweiten Berufsschulklasse, die in Hannover ihre Ausbildung zur Textilreinigerin fortführen und erfolgreich abschließen möchte. Was allerdings nur möglich ist, wenn eine neue Klasse zustande kommt. Ursula Dreyer setzt vor allem auf das Engagement der Ausbildungsbetriebe in der Region, auf Vorbildbetriebe wie die Seidel GmbH in Garbsen. Das Textilservice Unternehmen hatte das Angebot der Schule, sich an dem textilen Projekttag zu präsentieren, angenommen.
Das Projekt unter dem Motto ‚Slowing down fast fashion‘ war eine Kooperation der Anna-Siemsen-Schule in Hannover mit der BBS1 Uelzen, des Tartu Vocational College in Estland und der Fjölbrautaskólinn í Breidholti in Island. Für die Schüler/innen der Abteilung ‚Textiltechnik und Bekleidung‘ der Berufsbildenden Schule war es eine einmalige Gelegenheit, ihr Können und ihre Kreativität vor großem Publikum unter Beweis zu stellen. Sie überraschten mit ausgefallenen, maßgefertigten Hosen-Kreationen aus gebrauchten Jeans.
Textilservice als Säule der Kreislaufwirtschaft
Hinter dem Projekt und den Schülern, die es realisierten, stand – wie immer – ihre Fachlehrerin Ursula Dreyer. Seit rund zehn Jahren gehört sie zum Leitungsteam der Anna-Siemsen-Schule, einem Kompetenzzentrum in Niedersachsen. Hier werden derzeit 250 Schüler/innen im ‚Textilen Bereich‘ ausgebildet: als Assistent/in für Mode und Design, Maßschneider/in und derzeit noch als Textilreiniger/in, einem Beruf, der die Zukunft in der Textilwirtschaft entscheidend beeinflussen wird, wie Ursula Dreyer betont. Was fehlt, sind allerdings Auszubildende, ganz akut jetzt auch in Hannover.
„Das europäische Projekt und unsere Modenschau waren daher ideal, um im Kleinen sämtliche Schritte der textilen Kette transparent zu machen: von der Entwicklung des Designs über die Fertigung bis zur finalen Show. Das Besondere daran war, dass die Auszubildenden ihr eigenes Modell präsentieren konnten“, sagt Ursula Dreyer, die ihren Schülern über das Fachwissen hinaus eine wichtige Botschaft mit auf ihren Berufs- und Lebensweg gibt: „Was Du bist, macht Dich wertvoll, was Du kannst, macht Dich stark.“
Wer sich für einen textilen Beruf interessiert, wird von ihr beraten und praxisnah unterstützt. Neben der ein- oder zweijährigen Berufsfachschule Technik bietet die Anna-Siemsen-Schule die Möglichkeit zum Besuch der Fachoberschule Gestaltung mit dem Schwerpunkt Modedesign an. Ein wesentlicher Baustein im Portfolio der Berufsbildenden Schule ist der klassische Berufsschulunterricht, bis jetzt auch für angehende Textilreiniger/innen. „Viele Schülerinnen und Schüler haben im Vorfeld unsere Berufseinstiegsschule Klasse 1 und Klasse 2 im Bereich Textiltechnik und Bekleidung und/oder die Berufseinstiegsschule Sprache und Integration besucht“, erklärt die Abteilungsleiterin. „So finden sie einen einfacheren Einstieg in komplexe Ausbildungsinhalte.“
Prekäre Wechselwirkung
Der Mangel an Auszubildenden sei ein Phänomen in zahlreichen Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen, kaum eine Branche sei jedoch derart betroffen wie der Textilservice. Die Situation habe zu einer prekären Wechselwirkung geführt: „Ohne Auszubildende können wir keine Berufsschulkassen realisieren und ohne Berufsschule können die Betriebe nicht adäquat ausbilden. Wir beschulen gerade noch acht Auszubildende im dritten Lehrjahr und eine im zweiten Jahr. Wenn die acht Schülerinnen und Schüler ihre Gesellenprüfung im Sommer erfolgreich ablegen, bleibt nur noch die eine Schülerin für das dritte Lehrjahr.“
Um den Berufsschulunterricht nach den Vorgaben des Niedersächsischen Kultusministeriums fortführen zu dürfen, müssten insgesamt sieben Auszubildende in das 1. Ausbildungsjahr starten. Wird die magische Sieben nicht erreicht, könnte auch die letzte, verbleibende Auszubildende nicht weiter in Hannover beschult werden.
Ohne Auszubildende können wir keine Berufsschulkassen realisieren und ohne Berufsschule können die Betriebe nicht adäquat ausbilden.
Ursula Dreyer, Abteilungsleiterin Textiltechnik und Bekleidung, Anna-Siemsen-Schule, Hannover
„Ihr Ausbildungsbetrieb müsste einen anderen Berufsschulstandort finden“, so Ursula Dreyer. Und das sei nicht ohne weiteres möglich. Hier komme der Begriff der ‚wohnortnahen Beschulung‘ ins Spiel. „Wir führen an der Anna-Siemsen-Schule bereits seit Jahren eine länderübergreifende Fachklasse mit Auszubildenden aus Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen, weil es kaum noch Berufsschulen gibt. Wenn wir nun auch in Hannover den Berufsschulunterricht nicht mehr gewährleisten können, bleibt nur noch eine Beschulung im Blockunterricht an den Standorten Neumünster oder Frankfurt.“
Der Blockunterricht komme jedoch für viele Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage. Es sei davon auszugehen, dass dann Ausbildungsverhältnisse gelöst oder nicht abgeschlossen würden.
Welche Möglichkeiten haben Textilreiniger in Sachen Aus- und Weiterbildung?
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Engagement der Betriebe ist gefragt
Eine erfolgreiche Zukunft für den Beruf könne es nur in Kooperation mit den Betrieben geben. Der Praxisbezug sei auch im Rahmen der Ausbildung unerlässlich, so Ursula Dreyer, die auch im Unterricht mehr als nur fachliche Inhalte vermittelt. Ihr ist es ein Anliegen, auch das Selbstverständnis für den Beruf und das Selbstbewusstsein der Auszubildenden zu stärken. „Dies erreichen wir immer wieder durch Exkursionen in die Betriebe, bei denen die Schülerinnen und Schüler ihr Wissen anwenden und vertiefen können.“
Dass ihr gerade dieser Ausbildungsberuf am Herzen liegt, ist auch mit ihrer eigenen beruflichen Biografie verbunden. Nach dem Abitur in ihrem Heimatort Oldenburg macht sie eine verkürzte, zweijährige Ausbildung zur Bekleidungsschneiderin bei der Firma Gardeur in Augustfehn im Ammerland. Anschließend studiert sie das Berufsschullehramt Textiltechnik und Bekleidung mit dem Unterrichtsfach Chemie in Hannover. Nach erfolgreichem 2. Staatsexamen arbeitet sie zwei Jahre lang als Lehrerin am Ernst-August-Delius Berufskolleg in Bielefeld. In Bielefeld absolviert sie schließlich auch ihre Praktika im Textilservice: in der Textilreinigung Ruhe und der Zentralwäscherei eines Krankenhauses. Im Jahr 2003 startet sie ihre Karriere im Schuldienst an der Anna-Siemsen-Schule und unterrichtet seither in den naturwissenschaftlichen Fächern Mathematik und Chemie und den Lernfeldern mit chemischen und physikalischen Inhalten.
Strukturelle Probleme lösen
Ursula Dreyer erinnert sich gern an ihre Zeit in der Textilreinigung und in der Wäscherei. Die Arbeit sei interessanter als es sich die meisten Menschen vorstellen könnten. Den Hauptgrund für das mangelnde Interesse an diesem Ausbildungsberuf sieht sie daher nicht im Berufsbild. Die Ausbildung und die praktischen Tätigkeiten seien überaus vielfältig und umfangreich, der Beruf habe viele Facetten und biete beste Aufstiegsmöglichkeiten. Wer die Ausbildung gemacht habe, finde garantiert Arbeit: sei es in kleineren Handwerksbetrieben, Industrieunternehmen, Spezialbetrieben, bei einem Zulieferer oder Maschinenhersteller.
Wir haben in erster Linie ein strukturelles Problem, das müssen wir lösen.
Ursula Dreyer, Abteilungsleiterin Textiltechnik und Bekleidung, Anna-Siemsen-Schule, Hannover
„Wir haben in erster Linie ein strukturelles Problem“, sagt sie. „Das müssen wir lösen. Eine Idee könnte sein, eigenes Personal für eine Ausbildung zu gewinnen. Wer sich im Arbeitsalltag bereits als verlässlich gezeigt hat, könnte durch die Ausbildung Fachwissen erwerben und gleichzeitig einen höherwertigen Schulabschluss erreichen. Das dürfte sie motivieren, Leitungsaufgaben zu übernehmen.“ So dürften Betriebe qualifiziertes Personal gewinnen und langfristig halten. Zumal für eine Berufsausbildung, wie in allen handwerklichen Berufen, kein Schulabschluss notwendig sei. Die wichtigsten Voraussetzungen seien persönliches Interesse, Zuverlässigkeit und die Freude am Lernen und an der Teamarbeit.
Erfolgsgeschichten möglich machen
Auch Sprachbarrieren sollten kein Hindernis sein. Der Nutzen für die Betriebe sei langfristig zu sehen, denn eine Mehrsprachigkeit der Mitarbeitenden biete viele Vorteile. Sie könne dazu beitragen, neue Arbeitskräfte zu akquirieren. Und im Grunde bleibe der Branche keine andere Wahl, als sich ungewohnten Herausforderungen zu stellen und diese als Chancen zu betrachten.
Ihren eigenen Optimismus und die Bereitschaft, sich unermüdlich einzusetzen, schöpfe sie aus ihrer Berufung. „Ich liebe die Kreativität und die Vielfältigkeit im beruflichen Alltag, der kein Alltag ist“, sagt sie. Junge Menschen zum Lernen zu motivieren und deren berufliche Entwicklung zu verfolgen, sporne sie immer wieder an.
Besonders ergreifend sind für mich die Geschichten der Menschen, die eine Vielzahl von Hürden überwinden mussten, um sich den Traum einer Berufsausbildung zu erfüllen.
Ursula Dreyer
Ursula Dreyer hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich noch sechs Auszubildende für eine neue Berufsschulklasse Textilreiniger/in anmelden. Sie wünscht sich, an zahlreiche Erfolgsgeschichten anzuknüpfen. „Ich sehe nicht nur eine Geschichte, sondern ein ganzes Buch vor mir: Schülerinnen und Schüler, die an unserer Berufsschule ihre Ausbildung erfolgreich absolviert haben. Ich sehe sie auf Messen, Fachtagungen oder auf Social Media: Textilreiniger und Textilreinigerinnen, die mit einem Meistertitel in einem neuen Verantwortungsbereich tätig sind, als Chef des Familienbetriebes, als ausgebildete Fachberater eines textilen Dienstleisters oder bei einem europäischen Maschinenhersteller. Sie alle finden ihren Patz. Es macht mich sehr glücklich mitzuerleben, wie ehemalige Auszubildende inzwischen als Dozenten ihr Fachwissen weitergeben. Besonders ergreifend sind für mich die Geschichten der Menschen, die eine Vielzahl von Hürden überwinden mussten, um sich den Traum einer Berufsausbildung zu erfüllen“, sagt die Fachlehrerin und Abteilungsleiterin, deren Beharrlichkeit und Ausdauer gerade jetzt für ihre Schüler/innen und die Branche einen unschätzbaren Wert haben.
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