Nach Corona-bedingter Zwangspause traf sich die an smarten Textilien interessierte Community in diesem Jahr zum 11. Mal zum Anwenderforum. Es fand Mitte März 2023 statt und wurde erstmals in der Schweiz in den Räumlichkeiten der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (EMPA) in St. Gallen (Schweiz) abgehalten. Die Resonanz war trotz der Entfernung gut: Insgesamt zählten die Organisatoren mehr als 110 Teilnehmer aus Forschung, Entwicklung, Produktion und dem Textilservice.
Textilien mit elektronischen Zusatzfunktionen wird eine goldene Zukunft vorausgesagt. Sie sollen Körperfunktionen überwachen, verbessern oder bei Überschreitung von definierten Grenzwerten Alarm schlagen. Sie sollen Licht oder Musik machen, Wärme oder Kälte spenden und noch ganz andere Funktionen übernehmen. Das Anwenderforum SMART TEXTILES beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit den Möglichkeiten dieses neuen Zweigs. Nach Corona-bedingter Zwangspause präsentierte es die neusten Entwicklungen für diagnostische Einsätze.
Seit etwa 20 Jahren übernimmt Bekleidung neue Aufgaben. Neben dem Schutz gegen äußere Einflüsse sind Spezialeffekte hinzugekommen, deren körpernahe Anbringung durchaus Sinn macht. Clevere Feuerwehranzüge können beispielsweise durch die Messung der Herzfrequenz, Hauttemperatur oder des Pulses die Vitalfunktionen des Trägers kontrollieren und ihn dadurch vor einem hitzebedingten Kollaps bewahren. Aktiv leuchtende Kleidung verbessert die Sichtbarkeit von Personen im Dunkeln oder spendet Licht, wenn keine Hand für das Halten einer Taschenlampe frei ist. Und letztlich halten beheizte Jacken oder Handschuhe warm, wenn es draußen unangenehm kalt wird.
Frühe Exkursion in ein neues Gebiet
Die Integration von elektronischen Komponenten in Textilien wird seit etwa zwei Jahrzehnten erforscht und von neuen Technologien begleitet, die eine Verknüpfung der beiden unterschiedlichen Materien ermöglichen. Eines der Forschungsinstitute, das sich bereits früh mit solchen funktionalen Systemen beschäftigte, ist das Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland (TITV) in Greiz. Es beteiligte sich unter anderem an der Entwicklung der ersten beheizbaren Unterwäsche oder an aktiv leuchtenden Autositzen. Das Institut teilt seine umgesetzten Projekte bereits seit vielen Jahren mit einem interessierten Publikum und hat dafür im Jahr 2012 das „Anwenderforum SMART TEXTILES“ ins Leben gerufen. Inzwischen wird das Event gemeinsam mit dem Forschungskuratorium Textil (Berlin) und den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) organisiert. Es findet inzwischen einmal im Jahr statt und wird an unterschiedlichen Orten in der Nähe potenzieller Anwender von Hightech-Textilien durchgeführt.
Tragbare Gesundheitsdiagnostik
Die diesjährige Veranstaltung stand im Zeichen biometrischer, textilbasierter Lösungen zur Gesundheits- und Leistungsverbesserung von Mensch und Tier, wobei die vorgestellten Anwendungen sehr unterschiedlich und vielfältig waren. Die EMPA und das aus dem Institut ausgegliederte Start-Up Nahtlos (St. Gallen) zeigten beispielsweise, dass dank textiler Sensoren eine Langzeitüberwachung von Patienten außerhalb einer Klinik deutlich einfacher wird. So hat eine textilbasierte Herzfunktionsmessung gezeigt, dass sie Langzeitaufzeichnungen für Patienten deutlich angenehmer macht. Zudem erleichtert sie in der Schlafdiagnostik und der Detektion von Atemaussetzern (Schlafapnoe) die nächtliche Überwachung. Auch bei der Prävention von Schlag- und Herzanfällen erweisen sich smarte Textilien bei der Aufzeichnung von Herzfrequenzen als sinnvoll: Mittels textiler Sensorik werden die Aktivitäten des Herzens genau erfasst und mögliche Risiken durch Künstliche Intelligenz (KI) ausgewertet (vorgestellt von 24sens, A-Lustenau).
Die Anwendungen sensorischer Textilien gehen aber noch weit darüber hinaus. Durch textile Elektroden können immer mehr Körperfunktionen ermittelt werden – wie beispielsweise die Lungenbewegung. Dies hat etwa zu einem tragbaren Atemtrainer für Stressabbau und besseren Schlaf geführt (Nanoleq, Rümlang, CH). Interessant ist auch die Messung der Druckverteilung beim Sitzen: Ein mit entsprechenden Drucksensoren ausgestattetes Sitzkissen und eine App zeigen beispielsweise Rollstuhlfahrern eventuelle Fehlhaltungen an und motivieren sie zu einer Umlagerung. Ein anderes Modell von Sensomative (Rothenburg, CH) wird in der Gesundheitstherapie zum Beckenbodentraining eingesetzt.
Leistungsverbesserer
Die Magnetfeldtherapie gehört zu einem weiteren Einsatzbereich smarter Textilien. Zu den von der Bemer Group (Liechtenstein) entwickelten und bereits seit Jahren erhältlichen Systemen zählen beispielsweise Therapiematten für Menschen und Decken für Pferde. Auf textile Trägermaterialien aufgenähte Kupferspulen bringen die Mikrozirkulation des Bluts innerhalb weniger Minuten auf Touren. Dadurch werden die Durchblutung sowie der Nähr- und Sauerstofftransport im Körper verbessert, was unter anderem die Wundheilung anregt. Studien bei Tierärzten haben sogar gezeigt, dass bei Operationen die Menge des Anästhetikums verringert werden kann.
Alternativen für bestehende Technologien?
Ein weiterer Bereich, in dem sich smarte Textilien etablieren, ist das Heizen. Inzwischen gibt es Lösungen für selbstregulierende Heizsysteme, die sogar einen flexiblen Zuschnitt erlauben (Sefar, Rohrschach, CH). Sie ermöglichen die Kreation neuer Anwendungen im Bereich textiler Wärmespender. Dank induktiver Heiztextilien von msquare, Stuttgart, könnte möglicherweise sogar die Abhängigkeit von herkömmlichen Wärmeträgern beendet werden. Die Kohlefasergewebe, auf denen Kupferlitzen in 50 x 50 cm großen, einzeln ansteuerbaren Paneelen aufgestickt sind, können sehr hohe Temperaturen erreichen. Daher ist ein Einsatz der flexiblen Textilien u.a. als Ummantelung von Wasserrohren zur Erzeugung von Heißwasser oder vielleicht sogar als Grundlage einer neuen Bügeltechnologie denkbar.
Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen?
Während des Anwenderforums hat sich gezeigt, dass noch eine Zeit vergehen wird, bis smarte Textilien massentauglich geworden sind. So lange werden Mietservice-Anbieter, Wäschereien und Reinigungen nicht mit der Herausforderung konfrontiert sein, das System aus Elektronik und Stoff aufzubereiten. Das Interesse an cleveren Lösungen für die Überwachung von Vitalparametern und Körperfunktionen ist aber groß. Angesichts dünner werdender Personaldecken im Gesundheitswesen und einer alternden Gesellschaft werden smarte Systeme aller Voraussicht nach nicht mehr allzu lange in ihrer Nische verharren. In Zukunft könnten daher textilbasierte Sensortextilien zur Grundausrüstung von Alten- und Pflegeheimen, Reha-Kliniken etc. werden. Spätestens dann braucht es passende Aufbereitungsprozesse.
Das nächste Anwenderforum SMART TEXTILES findet am 27./28. Februar 2024 statt. Der Ort stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.